Alles ESG – oder was ?

Alles ESG – oder was ?

Von März bis April haben die ABBL-Stiftung für Finanzbildung, die CSSF, ALFI und das Verbraucherschutzministerium eine viel beachtete nationale "Sensibilisierungskampagne" zu nachhaltigen Finanzen durchgeführt.

Die Kampagne wirkt wie der Höhepunkt einer mehrjährigen Phase, während derer hiesige Finanzmarktakteure die neuen Regulierungsvorgaben der EU zur Sustainable Finance umzusetzen hatten (Stichworte sind Taxonomie, SFDR und ESG). Seht her : Wir haben geliefert ! Versprochen wird, dass es jetzt Finanzprodukte gibt, durch deren Kauf auch Otto Normalinvestor mehr Klimaschutz und eine Warenproduktion unter Einhaltung der Menschenrechte bewirken kann.

Aber ist das so ? Was wird behauptet, und was wurde tatsächlich geliefert ? Um diese Fragen zu beantworten, ist es sinnvoll, sich die Produktpalette aus dem Jahr 2020 anzuschauen, also aus der Zeit, als die neuen Regularien noch nicht gültig waren. Was hat sich am Produktangebot im Vergleich zu damals geändert ? Man würde meinen : ganz elementar viel. Leider ist die Antwort : nichts Wesentliches. Vielfach wurden bei Finanzmarktprodukten, die jetzt als nachhaltig beworben werden, keine Portfolios umgeschichtet, es erfolgte kein Divest aus fossilen Energien, und es wurden auch keine Firmen ausgeschlossen, denen die Einhaltung der Menschenrechte egal ist. Schlimmer noch : Die Marketingmaschinerie hängt diesen unveränderten Produkten jetzt nur ein neues Mäntlein um.

Um diese Behauptung zu beweisen, ist es nötig, der Frage auf den Grund zu gehen, was da in den letzten Jahren passiert ist. Dabei ist es wichtig, gleich zu Beginn einen entscheidenden Unterschied zwischen einem „Investieren in Nachhaltigkeit“ sozialer und ökologischer Banken einerseits sowie nachhaltigem Investieren konventioneller Finanzinstitutionen andererseits festzuhalten. Während Erstere ausschließlich in soziale und ökologische Unternehmen investieren, dies gewissermaßen ihr Wesenskern und Gründungszweck ist, haben Letztere als Folge von Regulierungen die berühmten „ESG-Kriterien“ zu berücksichtigen, wenn sie ihre Produkte als „nachhaltig“ kennzeichnen wollen. Für sie bedeutet das, Geld in Unternehmen oder Finanzprodukte zu investieren, die neben traditionellen Finanzindikatoren (Risiko und Renditeaussichten usw.) auch ökologische und soziale Kriterien sowie Aspekte der guten Unternehmensführung erfüllen. Die Betonung liegt auf „auch“, das heißt, es wird zugleich in fossile Energien oder Aktivitäten investiert, bei denen Menschenrechtsverletzungen Teil der Produktionsmethoden sind.

Und ein zweiter Unterschied ist wichtig zur Trennung der Spreu vom Weizen : Dadurch, dass neue Regularien und die Konsumentennachfrage es erzwingen, Produkte mit Blick auf ihre Nachhaltigkeit einzuordnen, unterziehen konventionelle Emittenten sie einem umfangreichen „ESG-Screening“. So werden plötzlich aus vielen herkömmlichen Finanzprodukten scheinbar nachhaltige Angebote, obwohl sie es nicht sind.

Eine Koalition aus sechs zivilgesellschaftlichen Organisationen (ASTM, Cercle de coopération des ONGD, etika, Greenpeace, Justice et Paix, SOS Faim) stehen der Kampagne daher sehr kritisch gegenüber : Anstatt die Bevölkerung über die Fallstricke vermeintlich nachhaltiger Finanzprodukte aufzuklären, bewirbt sie diese unkritisch. Sie bietet vermeintlich nachhaltige Geldanlagen nicht nur als Beitrag zur Bekämpfung der Klimakrise an, sondern auch zum Schutz der Menschenrechte. Damit weckt sie falsche Erwartungen und führt Bürger:innen in die Irre.

Als Gesellschaft, die sich mitten in der Klimakrise befindet und mit Menschenrechtsverletzungen im Rahmen wirtschaftlicher Aktivitäten konfrontiert ist, müssen wir ein nachhaltiges und faires Wirtschaftsmodell einführen. Damit Organisationen und Industrien diese systemische Aufgabe erfolgreich angehen können, benötigen sie viel Kapital. Die Umleitung von Geld, um auf diese Weise zu Innovation, der Schaffung von Arbeitsplätzen und dem Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft beizutragen, ist daher eine absolute Priorität.

Doch können ESG-, grüne oder nachhaltige Finanzprodukte die Geldströme wirklich so umlenken, dass sie sich positiv auf die Umwelt und die Gesellschaft auswirken ? Ohne ausreichende verbindliche Anforderungen an die Auswirkungen sogenannter nachhaltiger Investitionen auf die Realwirtschaft besteht ein hohes Risiko des Green- bzw. Socialwashing, d. h. es wird fälschlicherweise behauptet, dass die Investitionen positive Auswirkungen auf das Klima und die Gesellschaft haben.

Beim Handel von Aktienfonds an der Börse, also auf dem Sekundärmarkt, wechseln jedoch nur bereits bestehende Wertpapiere ihren Besitzer. Auf die Realwirtschaft hat das kaum Auswirkungen. Das konventionelle Finanzsystem ermöglicht ferner kaum Transparenz in dem Sinne, dass Anleger:innen oder Sparer:innen wissen, ob mit ihrer Geldanlage tatsächlich nur Projekte finanziert werden, die im Einklang mit ihren moralischen, philosophischen oder religiösen Überzeugungen stehen. So enthalten auch ESG-Fonds Aktien von Firmen aus Branchen, die sie eigentlich nicht finanzieren wollen, wie z.B. der Rüstungs- oder Atomindustrie.

Beim Alternativen Sparkonto, Frucht einer Kooperation zwischen Spuerkeess und etika, wird das Kapital dagegen ausschließlich in Kredite an Projekte der realen Wirtschaft umgewandelt, die strengen sozialen und ökologischen Kriterien entsprechen. Seit dem Beginn dieser Zusammenarbeit vor 26 Jahren wurden rund 205 Projekte, die ökologische und soziale Kriterien erfüllen (z. B. Solarenergie, Sozialwohnungen, Elektrobusse, Bio-Restaurants usw.), in Höhe von über 105 Millionen Euro. Damit wurde nicht nur die nachhaltige Kultur des Landes geprägt, das Finanzprodukt war mit den strengen Nachhaltigkeitskriterien bei der Kreditvergabe auch Vorreiter in der Finanzbranche. Wir können mit Stolz sagen, dass wir unserer Zeit weit voraus waren !

Von Ekkehart Schmidt / etika
Foto : Bau eines neuen Wasserkraftwerks an der Mühle von Moestroff

Extrait du dossier du mois « L’âme de fonds »

Article
Article
Publié le vendredi 2 juin 2023
Partager sur
Nos partenaires